Fachtagung „Auftrag Inklusive Schule – Verpflichtung einlösen!“

Fachtagung „Auftrag Inklusive Schule – Verpflichtung einlösen!“

Organisiert von unserer Initiative „EINE Schule für ALLE – länger gemeinsam lernen“ fand am 3. November 2023 in Mainz eine der größten Fachtagungen der letzten Jahre zum Thema „Inklusion in Rheinland-Pfalz“ statt. Fast 100 Teilnehmende waren unserer Einladung in die IGS Anna-Seghers gefolgt, eine der ältesten Schwerpunktschulen des Landes. Vertretungen des Bildungsministeriums und der Landespolitik trafen auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Praxis ‑ sowohl aus Schule als auch aus vielen anderen Bereichen, etwa In.betrieb, Verband der Sonderpädagogik (VDS), Kreisverwaltungen und viele mehr. Auch die neue rheinland-pfälzische Landesbeauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderungen, Ellen Kubica, war anwesend, außerdem Vertretungen aus allen Phasen der Lehrkräftebildung.

Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, bei seinem Eröffnungsvortrag in Mainz.

Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, eröffnete die Tagung mit einem sehr persönlichen Vortrag. Ungeschminkt beschrieb er seine eigene Schullaufbahn und die schwere Suche nach einem Gymnasium, das bereit war, ihn als Schüler mit starker Sehbehinderung aufzunehmen. Er machte sein Motto „Demokratie braucht Inklusion“ sehr überzeugend deutlich. Jürgen Dusel ist davon überzeugt, dass seine damaligen Mitschülerinnen und Mitschüler bis heute von der gemeinsamen Schulzeit profitieren, denn sie wüssten um die Wichtigkeit selbstverständlicher Barrierefreiheit und setzten dies in ihrem beruflichen Umfeld heute um. Die Sensibilität und Haltung haben sie in erster Linie als junge Menschen durch den gemeinsamen Unterricht erworben.

Im Anschluss brachten drei Kollegen aus Nordrhein-Westfalen ihre Streitschrift mit dem Titel „Ist der Förderschwerpunkt Lernen noch zeitgemäß“ ins Gespräch:

  • Michael Röder, Lehrer für Sonderpädagogik, Schulleiter an zwei Schulen, Schulrat und Dezernent in den Bezirksregierungen Münster und Düsseldorf, Leiter des Arbeitsbereiches „Fortbildung und Qualifizierung von Leitungskräften“ beim Landesinstitut Schule in NRW, Vorstandmitglied im Verband Sonderpädagogik;
  • Reinhard Leben, Sozialpädagoge, Lehrer und Schulleiter an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Schulaufsicht in Bochum und Herne, jeweils zuständig für Förderschulen und Inklusion, Mitglied im Verband der Sonderpädagogik (VDS) und Redaktionsleiter der Zeitschrift „Sonderpädagogische Förderung in NRW.“
  • und Peter Rieger, Lehrer und Schulleiter an unterschiedlichen Förderschulen in Nordrhein-Westfalen, davon acht Jahre als Lehrer in einem Modellversuch Gemeinsamer Unterricht und als Koordinator für Gemeinsames Lernen beim Schulamt Dortmund, Schulaufsichtsbeamter mit Zuständigkeit Inklusion in drei staatlichen Schulämtern,Mitglied im Verband der Sonderpädagogik (VDS).

Besonders mit folgender Aussage haben die drei Fachleute sehr kontroverse Diskussionen ausgelöst: „Das Konstrukt ‚Lernbehinderung‘, auch als ‚Förderschwerpunkt Lernen‘ umschrieben, ist wissenschaftlich nicht hinreichend begründet. Die Förderschulen „L“ sind demzufolge aufzulösen.“

Der Jurist Volker Igstadt, Präsident des Verwaltungsgerichts Kassel a.D. und Lehrbeauftragter für das Hessische Schul- und Dienstrecht am Institut für Sonderpädagogik der Goethe-Universität Frankfurt am Main, schaffte es auf unterhaltsame Art, die Problematik des im Schulgesetz von Rheinland-Pfalz verankerten Elternwahlrechts verständlich zu machen. Mit dem Bild der zwei gleichen Pullover unterschiedlicher Farbe, aus denen der Kunde auswählen kann, verdeutlichte er, dass Eltern im Moment nicht zwischen zwei qualitativ gleichwertigen Produkten wählen und dass dieses Elternwahlrecht für die Umsetzung einer UN-Konvention nicht geeignet und möglicherweise sogar rechtswidrig ist.

Die Bildungsjournalistin Dr. Brigitte Schumann forderte in lebhafter und kraftvoller Art die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und prangert ganz klar an, dass Rheinland-Pfalz zu wenig tut, um die gesetzten Ziele zeitnah zu erreichen. Die Politik agiere mut- und kraftlos. In der anschließenden Podiumsdiskussion gingen Brigitte Schumann, die drei Kollegen aus Nordrhein-Westfalen und Volker Igstadt ins Gespräch mit Sven Teuber, dem bildungspolitischen Sprecher der rheinland-pfälzischen SPD, und Daniel Köbler, dem bildungspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen in Rheinland-Pfalz. Unter der Moderation von Stefan Jakobs entwickelte sich eine teils hitzige Diskussion über die Weiterentwicklung inklusiver Strukturen. Der eigentliche Offenbarungseid war die politische Äußerung der rheinland-pfälzischen Ampelkoalitionäre, dass eine politische Mehrheit im Mainzer Landtag keine Schritte forcieren werde, die nicht auch von einer gesellschaftlichen Mehrheit getragen seien.

Eine sehr lebendige und interessante Fachtagung endete am Nachmittag.

Die Podiumsteilnehmer (von links nach rechts): Peter Rieger, Volker Igstadt, Daniel Köbler, Sven Teuber, Brigitte Schumann, Reinhard Leben, Michael Röder.