Bernhard Clessienne lebt nicht mehr

Bernhard Clessienne lebt nicht mehr

Vor ein paar Tagen noch haben wir miteinander gesprochen und die großen und kleinen Ärgerlichkeiten der Bildungspolitik mal ernst, mal mit Ironie hin- und hergewälzt, wie wir es seit unserer ersten Begegnung als Kollegen der am 1. August 1973 gegründeten ersten IGS in Rheinland-Pfalz mehr oder weniger ununterbrochen immer wieder taten und uns auch zukünftig darüber austauschen wollten. Egal, wo wir gerade schulisch, gewerkschaftlich oder bildungspolitisch unterwegs waren: Bernhard als Mitkämpfer an der Seite zu wissen, sich ihm als Kritiker stellen zu müssen, immer aber sicher sein zu dürfen, mit ihm dasselbe Ziel anzusteuern, war Gewissheit, auch wenn wir unterschiedliche Wege wählten. Bernhard war vor allem aber Freund, zuverlässiger und liebevoller Herzensfreund. Bernhard konnte Freundschaft wie kaum ein anderer, zugewandt und empathisch zu all den Menschen um ihn. Bernhard liebte das Leben. Zusammen mit seiner Frau Ella genoss er es im Kreis seiner großen Familie, war liebender und geliebter Vater seiner drei Kinder und immer sorgender Großvater seiner elf Enkel, Bernhard war der geborene Familienmensch. Von dieser Fülle an Zuneigung für seine Familie blieb dennoch stets ein großer Rest auch für seine Freundschaften, die Jahrzehnte hielten und bis heute andauern. Daran teilhaben zu dürfen, war ein Geschenk.

Unser langer gemeinsamer Weg, der mit der Gründung der IGS in Kaiserslautern begann, seiner zweite Stelle, wie auch bei mir. Beide kamen wir als GEW-Mitglieder an diese im Wortsinne neue Schule und erhielten die Chance, etwas pädagogisch Neues zu beginnen. Wir wollten, dass unsere Schule als rheinland-pfälzisches Unikat gelingt, vor allem wollten wir die „alte“ Schule der Nachkriegszeit hinter uns lassen und stürzten uns, zusammen mit weiteren reformbereiten Kolleg*innen, in den herausfordernden schulischen Alltag des Gesamtschulprojekts mitten in unserem damals rabenschwarzen Bundesland mit einem anfangs ebenso rabenschwarzen Schulleiter. Wir fanden schnell im ersten Personalrat zusammen, gemeinsam mit einer kämpferischen Kollegin. Personalratsarbeit war Bernhard auf den Leib geschrieben. Mit nur kurzen Unterbrechungen blieb er Personalrat, in der Schule, später dann auch, nachdem die Gesamtschulen endlich ihre eigene Personalvertretung erhielten, auch als Stufenvertreter bei der Bezirksregierung und der ADD. Sich für andere einsetzen, ihre Interessen aufrecht und ausdauernd gegenüber Schulleitungen und dem Arbeitgeber zu vertreten, blieb zentraler Teil von Bernhards Berufssleben. Davon ließ er sich nicht abbringen. Auch nicht, als er nach dem Regierungswechsel 1991 als Experte für Gesamtschulen an das damalige Pädagogische Zentrum berufen wurde, wo er seine bis damals fast zwanzigjährige Erfahrung als Gesamtschullehrer einbringen konnte. Neue Gesamtschulen vorzubereiten, die neuen Kollegien zu beraten, weitere Perspektiven seines Berufs eröffneten sich für ihn. So gehörte er in den mittleren 90er Jahren auch dem Kollegium der zweiten kaiserlauterer IGS an, war auch dort Personalrat und blieb es bis zu seinem Berufsende, auf schulischer wie auf Bezirksebene. Es war, wie gesagt, sein Metier, engagiert und liebevoll. Ich hätte ihn gerne auch als Schulleiter gewonnen, weil ich wusste, dass er mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften bestens dafür geeignet gewesen wäre. Aber ich erhielt nur Absagen von ihm. Er wollte Personalrat bleiben, unbeirrt und konsequent seinen Weg weitergehen. In späteren Frotzeleien habe ich ihm immer mal wieder vorgeworfen, er hätte mich damals bei meiner Suche nach geeigneten Kolleg*innen im Stich gelassen. Er war sich auch später sicher, dass er das nicht wollte. Seine wichtigste Aufgabe sei immer die Personalratsarbeit gewesen.

Als er in den Ruhestand ging, hat ihm sicher diese ironische Pointe gefallen hat, als ihm die ADD zu seinem Dienstende 2011 mitteilt, er sei 37 Jahre und 128,08 Tage im Schuldienst gewesen, 128,08 Tage… Er hat sich bestimmt amüsiert über so viel Bürokratie.

Es ist seine Gradlinigkeit, die ihn auszeichnet, auch in seinem Kampf um eine gerechte Schule, die er mit und in der GEW und mit uns zusammen geführt hat, wo er auf Kreisebene als Mitglied im Vorsitzendenteam zum Beispiel führende Positionen ausfüllte, als Delegierter die GEW stärkte und er sich 2009 geradezu selbstverständlich als einer der Mitbegründer unserer Initiative „EINE Schule für ALLE“ einbrachte. Bernhard wollte die menschlichere Schule, die Kinder fördern und nicht im Kindesalter schon auslesen sollte. Zu diesem Ziel war er bis zu seinem nun so plötzlichen und für uns alle, die wir mit ihm verbunden waren, so unfassbaren Tod unterwegs. Unterwegs war er, im Wortsinne, bis vergangenen Sonntag bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Wandern. Er wollte heimwärts den Bus noch erreichen, brach dabei zusammen, Hilfe war nicht mehr möglich.

Wir haben unseren Freund und Kollegen verloren, einen besonderen Menschen, den wir wegen seiner Freude am Leben, an der er uns immer wieder teilhaben ließ, wegen seines lebenslangen Engagements für eine demokratische und humane Schule und insbesondere wegen seiner unerschöpflichen Empathie und Liebe, die er uns zukommen ließ, nicht vergessen werden.

Bernhard wurde am 6. Oktober 1946 in Dillingen/Saar geboren und starb völlig überraschend am 21. September 2025.

Frieder Bechberger-Derscheidt.